- Die Zahl lebensbedrohlicher anaphylaktischer Reaktionen steigt
- Die sofortige intramuskuläre Applikation von Adrenalin ist das Mittel der Wahl im anaphylaktischen Notfall
- Jedem/r anaphylaxiegefährdeten Patient:in sollte ein Adrenalin-Autoinjektor (in bestimmten Fällen auch zwei) verordnet werden, auf den er/sie trainiert werden muss
- Im Notfall sollte jeder Handgriff sitzen. Aufgrund der Unterschiedlichkeit der verfügbaren Autoinjektormodelle sollte das verordnete Modell daher in der Apotheke nicht durch ein Modell ausgetauscht werden, mit dem der Patient oder die Patientin nicht vertraut ist.
Bad Homburg v. d. Höhe, 16. August 2023 — Anlässlich der diesjährigen Tagung „Allergologie im Kloster“, Eltville/Rheingau, fasst Prof. Dr. Johannes Ring, Facharzt für Dermatologie und Allergologie, Haut- und Laserzentrum an der Oper, München, zusammen: „Eine Anaphylaxie kann innerhalb kürzester Zeit lebensbedrohlich werden. Deshalb erfordert eine anaphylaktische Reaktion immer unverzügliche Notfallmaßnahmen. Adrenalin hat sich hier als Mittel erster Wahl weltweit etabliert.“ Diese zentralen Inhalte sind Teil der Auftaktveranstaltung „Neues zur Anaphylaxie: spannende Daten – hilfreich für die Praxis“ der seit fast 20 Jahren stattfindenden interdisziplinären Tagung, die auch in diesem Jahr wieder von der Viatris-Gruppe mit unterstützt wird.1
Als Anaphylaxie wird die oft lebensbedrohliche Maximalvariante einer allergischen Sofortreaktion bezeichnet. Zusammen mit der allgemeinen Zunahme allergischer Erkrankungen in der Bevölkerung haben auch anaphylaktische Reaktionen an Häufigkeit zugenommen.2,3,4Insbesondere die Inzidenz der nahrungsmittelinduzierten Anaphylaxien steigt stetig, berichtet PD Dr. Katharina Blümchen, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin mit Zusatzweiterbildung in Kinder- und Jugendpneumologie und Allergologie am Universitätsklinikum Frankfurt. „Was die Pharmakotherapie der Anaphylaxie anbelangt, steht Adrenalin im Zentrum, und zwar als sofortige intramuskuläre Applikation am besten mit einem Adrenalin-Autoinjektor“, so Prof. Dr. Ludger Klimek, Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und Leiter des Zentrums für Rhinologie und Allergologie, Wiesbaden. Nach einer Akutbehandlung sollte den Patient:innen ein Adrenalin-Autoinjektor – besser sogar zwei – zum Einsatz bei zukünftigen Notfällen verordnet werden. Dabei ist es wichtig, die Patient:innen auf „ihre“ AAI-Modelle zu trainieren und sicherzustellen, dass das Modell, mit dem sie vom Verschreiber oder der Verschreiberin trainiert wurden, von der Apotheke nicht durch ein Modell, mit dem sie nicht trainiert sind, ausgetauscht wird. „AAI ist nicht gleich AAI – die Modelle der verschiedenen Hersteller sind unterschiedlich. Im Notfall muss aber jeder Handgriff schnell, korrekt und sicher erfolgen, um keine kostbare Zeit zu vergeuden. Je rascher die Adrenalingabe erfolgt, desto besser sind die vielfältigen Symptome einer Anaphylaxie kontrollierbar und das letale Risiko deutlich reduziert“, gibt Prof. Klimek zu bedenken.
Anaphylaktische Reaktionen folgen keinem festen Schema
Anaphylaktische Reaktionen sind sehr heterogen: Die Symptome betreffen unterschiedliche Organsysteme und laufen zum Teil hintereinander, zum Teil gleichzeitig ab. Am häufigsten (in 80 bis 90 Prozent der Fälle) finden sich Allgemeinsymptome und Hauterscheinungen wie zum Beispiel Urtikaria, Angioödem und Kribbelgefühl an Händen und Füßen. Außerdem können der Magen-Darm-Trakt, die Atemwege sowie das Herz-Kreislauf-System betroffen sein.5 Die Symptome können so weit eskalieren, dass es zum anaphylaktischen Schock mit tödlichem Ausgang kommen kann.6 „Selbst bei ein und derselben Patientin oder demselben Patienten können Anaphylaxien in unterschiedlicher Intensität vorkommen. Das hat unter anderem mit Augmentationsfaktoren wie zum Beispiel körperlicher Belastung, Infektionen, psychischem Stress, Alkoholkonsum oder Medikamenten zu tun. Auch Komorbiditäten wie Asthma bronchiale und Mastozytose sowie Faktoren wie Alter und Geschlecht können das Anaphylaxierisiko steigern“, erläutert Prof. Ring. Daher erfordert jede Art der anaphylaktischen Reaktion schnelles Handeln entweder durch den/die Betroffenen/Betroffene selbst oder durch Menschen in seinem/ihrem unmittelbaren Umfeld. Einfacher Zugang zu Adrenalin-Autoinjektoren ist somit entscheidend.
Besondere Vorsicht gilt bei Nahrungsmittelallergien
„Besonders wachsam sollten Nahrungsmittelallergiker sein. Sie haben ein erhöhtes Risiko für Anaphylaxie, und das mit zunehmender Inzidenz“, so PD Blümchen. Bei einer Betrachtung australischer Anaphylaxiefälle, die zur Hospitalisierung führten, zeigte sich, dass – unabhängig vom Auslöser – in den Jahren 2004 und 2005 im Vergleich zu 1998 und 1999 eine Steigerung der Fallzahl um das 1,7-Fache zu verzeichnen war. Bei den durch Nahrungsmittel ausgelösten Anaphylaxiefällen war im gleichen Beobachtungszeitraum sogar eine Steigerung um mehr als das Doppelte (2,2-Fache) zu beobachten.6 „Bei einer Nahrungsmittelallergie ist die Allergenkarenz im Alltag häufig schwer zu bewerkstelligen. Das gilt ganz besonders bei Erdnussallergie. Denn hier sehen wir anaphylaktische Reaktionen häufig schon bei kleinsten Mengen und sie verlaufen oft schwer. Todesfälle sind zwar nicht die Regel, sie kommen jedoch vor. Es besteht also dringender Handlungsbedarf“, appelliert PD Blümchen. Bei einer durch Nahrungsmittel ausgelösten Anaphylaxie beträgt die mediane Zeitspanne bis zum Atem-/Kreislaufstillstand 30 Minuten.7 „Neben Allgemeinmaßnahmen wie der Unterbrechung der Allergenzufuhr und Notfallmaßnahmen spielt Adrenalin die wichtigste Rolle bei der Pharmakotherapie der Anaphylaxie, da es innerhalb von wenigen Minuten und aufgrund seines vielfältigen Wirkmechanismus an zahlreichen unterschiedlichen Organsystemen gleichzeitig wirken kann. Anders als häufig angenommen, sind Antihistaminika nur bei leichten Hautreaktionen sinnvoll, während Glukokortikoide vor allem der Verhinderung von Spätphase-Reaktionen bei Anaphylaxien dienen“, erläutert Prof. Klimek. Adrenalin hingegen antagonisiert durch seine vasokonstriktive, bronchodilatatorische und positiv ino- und chronotrope kardiale Wirkung die pathogenen Mechanismen, die an der Entstehung und Ausprägung einer Anaphylaxie maßgeblich beteiligt sind: Hypovolämie, Ateminsuffizienz durch Bronchokonstriktion und/oder Larynxödem und Herzversagen.6 Die Applikationsform der Wahl ist dabei die sofortige intramuskuläre Injektion, am besten mit einem Adrenalin-Autoinjektor. Pharmakokinetische Untersuchungen haben gezeigt, dass beim Einsatz eines Adrenalin-Autoinjektors mit starker Auslösekraft anstatt einer manuellen intramuskulären Adrenalininjektion schnellere und höhere systemische Adrenalinplasmaspiegel erzielt werden können, insbesondere auch bei adipösen Patient:innen.8 Direkte Vergleichsuntersuchgen mit unterschiedlichen AAI bei unter-, normal-, aber auch bei übergewichtigen Personen ergaben zudem, dass ein AAI mit einer höheren Auslösekraft eine bessere Effektivität hinsichtlich der Adrenalinfreisetzung aufweist, als ein AAI mit längerer Nadel und höherer Adrenalindosierung, aber einem schwächeren Auslösemechanismus.9 Folglich unterscheiden sich die verschiedenen AAIs nicht nur hinsichtlich ihrer Beschaffenheit und ihrer Anwendung, sondern auch in wichtigen pharmakokinetischen Parametern (siehe primäre Abbildung/Abbildung 1).
Beim Austausch ist Vorsicht geboten
„Auch nach der erfolgreichen Akutbehandlung spielt Adrenalin eine wichtige Rolle im Notfallset, das jeder gefährdeten Patientin und jedem gefährdeten Patienten verordnet werden sollte“, ergänzt Prof. Klimek. Bei der Verordnung eines AAIs gilt es zu beachten, dass es Modelle von verschiedenen Anbietern gibt, deren Handhabung sich unterscheidet. Von behördlicher Seite ist daher vorgeschrieben, dass Patient:innen mit Hilfe eines AAI-Trainingspens für den Notfall trainieren – und zwar mit dem jeweils verordneten AAI-Modell, das sie im täglichen Leben nutzen (siehe Infokasten). Es sei daher unbedingt darauf zu achten, dass es in der Apotheke keinesfalls dazu komme, dass Patient:innen, die auf ein bestimmtes Modell trainiert sind, ein Modell erhalten, mit dem sie nicht vertraut sind, so Prof. Klimek. „Ich empfehle bei Verordnung eines AAIs das Feld ‚nec aut idem‘ (Substitutionsverbot für den Apotheker) anzukreuzen“. Zudem sei zu erwägen, den Patient:innen von vorneherein zwei AAI zu verordnen. Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA (European Medicines Agency) rät generell zur gleichzeitigen Verordnung von zwei AAI.10 Insbesondere bei hohem Körpergewicht der Patient:innen (bei dem/r eine Injektion womöglich nicht ausreichend ist), bei einem besonderen Risiko für Anaphylaxie wie zum Beispiel bei einer Mastozytose, oder einer sehr schweren Anaphylaxie in der Anamnese ist dies sinnvoll. Auch im Kindesalter könne ein zweiter AAI zur Lagerung im Kindergarten oder in der Schule rezeptiert werden, ergänzt Prof. Klimek.
Infokasten „Anaphylaxie-Training” der AGATE e. V.
- Die „Arbeitsgemeinschaft Anaphylaxie Training und Edukation“ (AGATE e. V.) hat eine standardisierte, qualitätskontrollierte „Anaphylaxie-Schulung“ entwickelt.11
- Die Schulung wird deutschlandweit angeboten.
- Von einigen Krankenkassen werden die Kosten der Schulung auf Antrag übernommen. Es laufen darüber hinaus Verhandlungen zur bundesweiten Kostenübernahme.
- Informationen unter www.anaphylaxieschulung.de
Über Anaphylaxie12
Die Anaphylaxie ist eine potenziell lebensbedrohliche systemische allergische Reaktion. Es handelt sich in der Regel um eine Immunglobulin E (IgE) vermittelte Allergie vom Typ 1 (Soforttyp). Pathophysiologisch kommt es zu einer Freisetzung verschiedener Mediatoren aus Mastzellen und basophilen Granulozyten: unter anderem Histamin, Prostaglandinen, Leukotrienen, Tryptase, Plättchen-aktivierendem Faktor, Zytokinen und Chemokinen. Die Auslöser für schwere allergische Reaktionen sind am häufigsten Nahrungsmittel (zum Beispiel Erdnüsse, Baumnüsse, Milch, Eier, Schalentiere), Insektengifte (zum Beispiel durch Bienen- oder Wespenstich) und Medikamente (zum Beispiel Antibiotika oder Schmerzmittel). Die genaue Zahl der Anaphylaxien ist unbekannt. Schätzungen zufolge muss in Deutschland mit ein bis drei Ereignissen je 100.000 Einwohner pro Jahr gerechnet werden. Dabei ist von ein bis drei Todesfällen pro 1 Million Einwohner auszugehen. Patient:innen mit Nahrungsmittel-, Insektengift- und Medikamentenallergie sollten einen Allergologen aufsuchen, der mittels Anamnese, Prick-Test, IgE-Bestimmung im Blut sowie eventuell anhand von Provokationstests das Anaphylaxie-Risiko der Allergikerin/des Allergikers abschätzen kann und gegebenenfalls ein Notfallset verordnet. Präventiv kommen die Expositionsprophylaxe und in geeigneten Fällen – bei der Insektengiftallergie – die Hyposensibilisierung in Frage. Zur Therapie der allergischen Reaktion werden je nach Ausprägungsgrad orale Antihistaminika, Glukokortikoide, Beta-2-Sympathomimetika und für die Notfallbehandlung Adrenalin im Autoinjektor (Notfallset) eingesetzt.
Über Viatris
Viatris Inc. (NASDAQ: VTRS) ist ein weltweit tätiges Gesundheitsunternehmen, das es Menschen weltweit ermöglicht, in jeder Lebensphase gesünder zu leben. Durch unser einzigartiges Global Healthcare Gateway® bieten wir Zugang zu Arzneimitteln und Impfstoffen, fördern wir eine nachhaltige Unternehmensführung, entwickeln innovative Lösungen und nutzen unsere Kompetenz, um mehr Menschen den Zugang zu mehr Produkten und Dienstleistungen zu ermöglichen.
Viatris, das im November 2020 entstand, vereint erstklassige Expertise in den Bereichen Wissenschaft, Produktion und Vertrieb mit bewährten regulatorischen, medizinischen und kommerziellen Fähigkeiten, um Patienten qualitativ hochwertige Medikamente in mehr als 165 Ländern und Territorien zu liefern. Das weltweite Portfolio von Viatris umfasst mehr als 1.400 Moleküle für ein breites Spektrum von Therapiegebieten, die sowohl nicht übertragbare als auch Infektionskrankheiten abdecken, sowie erstklassige, bekannte Markenprodukte und globale Schlüsselmarken, Generika – inklusive Marken- und komplexe Generika – und eine Vielzahl von Präparaten zur Selbstmedikation/OTC-Produkten. Mit weltweit mehr als 38.000 Mitarbeitenden haben wir unseren Hauptsitz in den USA und globale Zentralen in Pittsburgh (USA), Shanghai (China) und Hyderabad (Indien). Weitere Informationen finden Sie auf https://www.viatris.com/en und https://investor.viatris.com. Bleiben Sie auch über Twitter, LinkedIn, Instagram und YouTube mit uns in Verbindung.
Zur Viatris-Gruppe Deutschland gehören die Viatris Healthcare GmbH, Viatris Pharma GmbH, Mylan Germany GmbH sowie MEDA Pharma GmbH & Co. KG mit Niederlassungen in Bad Homburg v. d. Höhe sowie Hannover, die Produktionsstätte der Madaus GmbH in Troisdorf und der Viatris Collaboration Hub Berlin. Das Portfolio umfasst in Deutschland mehr als 500 Produkte, darunter Originale und (Marken-) Generika. Sowohl verschreibungspflichtige als auch rezeptfreie Präparate decken ein breites Spektrum an Therapiegebieten ab. Hervorzuheben sind insbesondere Antithrombotika und Impfstoffe (Influenza). Weiterführende Informationen unter:www.viatris.de.
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Abb. 1: Beim anaphylaktischen Schock können durch eine sofortige intramuskuläre Applikation schnellere und höhere systemische Adrenalinplasmaspiegel erzielt werden. ©Viatris
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Pressestelle Viatris-Gruppe Deutschland
+49 (0) 6172 - 888 – 1234
Presse-DE@viatris.com
1 Ring J. Warum verläuft eine Anaphylaxie nicht immer gleich? Auftaktveranstaltung „Neues zur Anaphylaxie: spannende Daten – hilfreich für die Praxis“ im Rahmen der Tagung „Allergologie im Kloster“, Eltville/Rheingau. Vortrag am 12.05.2023, 15.00–16.30 Uhr.
2 Gupta R et al. Time trends in allergic disorders in the UK. Thorax 2007; 62: 91-96.
3 Panesar SS et al. The epidemiology of anaphylaxis in Europe: a systematic review. Allergy 2013; 68: 1353-1361.
4 Sousa-Pinto B et al. Frequency of self-reported drug allergy: A systematic review and meta-analysis with meta-regression. Annals of Allergy, Asthma & Immunology 2017; 119: 362-373.
5 Klimek L et al. Neues zur Anaphylaxie. Allergologie 2023; 46: 269-277.
6 Mullins RJ et al. Time trends in Australian hospital anaphylaxis admissions in 1998-1999 to 2011-2012. Journal of Allergy and Clinical Immunology 2015;136: 367-375.
7 Pumphrey RS. Lessons for management of anaphylaxis from a study of fatal reactions. Clinical & Experimental Allergy 2000; 30:1144-1150.
8 Worm M et al. Epinephrine delivery via EPIPEN Auto-Injector or manual syringe across participants with a wide range skin-to-muscle distances. Clinical and Translational Allergy 2020;10: 1-13.
9 Public assessment report. Scientific discussion. Emerade (adrenaline tartrate). SE/H/1261/01–03/DC. https://docetp.mpa.se/LMF/Emerade%20solution%20for%20injection%20in%20pre-filled%20pen%20ENG%20PAR_09001bee807a122c.pdf (Zugriff Juli 2023).
10 European Medicines Agency. Better training tools recommended to support patients using adrenaline auto-injectors. Training device and audio-visual material expected to promote appropriate use of auto-injectors. 26 June 2015, EMA/411622/2015. https://www.ema.europa.eu/en/documents/press-release/better-training-tools-recommended-support-patients-using-adrenaline-auto-injectors_en.pdf (Zugriff Juli 2023).
11 Brockow K et al. working group on anaphylaxis training and education (AGATE). Effects of a structured educational intervention on knowledge and emergency management in patients at risk for anaphylaxis. Allergy 2015; 70: 227-235.
12 Klimek L, et al. Weißbuch Allergie in Deutschland. Vol. 4. 2018: Springer Medizin. S. 101-109.