Beobachtungen des Ausschusses für Humanarzneimittel (Committee for Medicinal Products for Human Use, CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (European Medicines Agency, EMA) zufolge, kann es von mehreren Faktoren abhängen, ob Adrenalin den Muskel erreicht. Da diese Faktoren beispielsweise die Nadellänge, die Dicke des Fettgewebes unter der Haut und/oder der Mechanismus des Autoinjektors sein können fragte das CHMP bei Unternehmen, die Adrenalin-Autoinjektoren (AAI) im Portfolio haben an, eine pharmakokinetische/pharmakodynamische Studie durchzuführen1. Ziel einer solchen Studie sollte es sein, besser zu verstehen, wie Adrenalin über die verschiedenen Autoinjektoren in das Körpergewebe eindringt. Die Studie von Prof. Margitta Worm, Leiterin Allergologie und Immunologie, Charité, Berlin, und Kollegen2 liefert hierzu wissenschaftliche Erkenntnisse in der Diskussion zur Art der Applikation von Adrenalin beim anaphylaktischen Akutfall.
Bad Homburg v. d. Höhe, 13. August 2021 – Der Einsatz von Adrenalin bei anaphylaktischen Reaktionen ist State-of-the-Art und auch in der aktuellen Anaphylaxie Leitlinie3 verankert. Die Verabreichung von Adrenalin mit einem AAI (EpiPen®/Fastjekt®)10 führte im Vergleich zur manuellen intramuskulären Injektion zu höheren maximalen Plasmakonzentrationen und zu einer höheren frühen systemischen Adrenalin-Exposition2. Selbst bei einer ausgeprägten subkutanen Fettschicht führt die Applikation durch den AAI zur schnellen Anflutung von Adrenalin im Blut. Die Wirkung ist damit weitgehend unabhängig vom Haut-Muskel-Abstand (skin to muscle distance, STMD) der Probanden. „Mit dem AAI wurde bei allen in der Studie untersuchten Kohorten, die einen niedrigen bis hohen STMD aufwiesen, eine verlässliche und konsistente systemische Adrenalinversorgung erreicht“, so die Erkenntnis von Worm.
Im anaphylaktischen Akutfall ist die sofortige intramuskuläre (IM) Adrenalin-Injektion in den anterolateralen Oberschenkel die Therapie der Wahl. Dies kann durch den Patienten selbst oder eine andere Person erfolgen4-6. „Zur Adrenalin-Gabe stehen AAIs zur Verfügung, die Anaphylaxie-gefährdete Patienten immer bei sich tragen sollten“, so empfiehlt Worm, und weist darauf hin, dass es wichtig sei, dass die Patienten in deren Anwendung geschult wurden. Bei der Applikation gilt es, den Haut-Muskel-Abstand (skin to muscle distance, STMD), den die Injektionsnadel überbrücken muss, zu berücksichtigen: Der STMD wird maßgeblich durch die subkutane Fettschicht bestimmt und bei Überschreiten eines bestimmten Wertes reicht die standardisierte Nadellänge des AAI gegebenenfalls nicht mehr aus, um eine Injektion in den Muskel sicher zu gewährleisten.
Die Studie sollte klären, ob bei Patienten mit einem hohem STMD die systemische Verfügbarkeit des per AAI verabreichten Adrenalins möglicherweise verringert oder verzögert wird7-9. Denn dies könnte im Anaphylaxiefall ein erhöhtes Risiko für die Betroffenen bedeuten. Das Studienergebnis gibt erste Hinweise darauf, dass die Applikation von Adrenalin durch den AAI auch bei einer ausgeprägten subkutanen Fettschicht zur schnellen Anflutung von Adrenalin im Blut führt.
Studiendesign
In der Studie von Worm et al. wurde für unterschiedliche STMD untersucht, ob bzw. wie sich die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik von Adrenalin bei der Verabreichung mittels eines standardisierten AAI (EpiPen/Fastjekt)10 im Vergleich zur Injektion durch manuell verabreichte Spritzen unterscheidet2. Dabei war deren Nadellänge dem jeweiligen STMD angepasst. In die offene randomisierte Crossover-Studie wurden 35 gesunde Teilnehmer (18 bis 55 Jahre, BMI: 18 bis 40 kg/m2) eingeschlossen. Der STMD war als Distanz zwischen Hautoberfläche und Oberfläche des Musculus vastus lateralis bei maximaler Kompression definiert, gemessen wurde per Ultraschall. Die Probanden wurden in drei Kohorten aufgeteilt: geringer STMD (< 15 mm), mittlerer STMD (15 bis 20 mm) und hoher STMD (> 20 mm). Jeder Proband erhielt in randomisierter Reihenfolge eine Adrenalin-Injektion mittels AAI (0,3 mg / 0,3 ml), eine manuelle IM-Adrenalin-Injektion (0,3 mg / 0,3 ml) und zur Kontrolle eine Injektion mit Kochsalzlösung (0,3 ml). Zwischen den Injektionen lag eine Auswaschphase von 24 Stunden. Die Blutproben für die Analyse wurden zu definierten Zeitpunkten vor und nach der Adrenalin-Injektion genommen. Analysiert wurden die maximale Adrenalin-Plasmakonzentration (Cpeak), die Zeitspanne bis Cpeak (tpeak), die Fläche unter der Konzentrationszeitkurve (area under the curve, AUC) bis zur letzten messbaren Konzentration (AUC0–t) sowie die partielle AUC. Letztere wurde jeweils 6, 15 und 30 Minuten nach der Injektion ermittelt.
AAI führt früher zu höherer Adrenalin-Exposition
Die Verwendung des AAI führte in der Studie zu höheren Cpeak-Werten als die manuelle
IM-Injektion (Mittelwert: 0,52 vs. 0,35 ng/ml; Quotient der geometrischen Mittelwerte: 1,40; 90 % KI: 117,6 bis 164,6 %)2. Die maximale Plasmakonzentration wurde mit dem AAI nach 20 Minuten erreicht, manuell nach 50 Minuten (tpeak, Median), siehe Abb. 1. Die Gesamtexposition (AUC0–t) gegenüber Adrenalin war nicht bzw. kaum erhöht (Mittelwert AAI 30,0 vs. Spritze: 26,1 ng min / ml; Quotient der geometrischen Mittelwerte: 1,13; 90 % KI: 98,8 bis 129,8 %). Eine Post-hoc-Analyse der partiellen AUC ergab während der ersten 30 Minuten nach der Injektion per AAI eine höhere frühe Adrenalinexposition als bei manueller Injektion (Quotient der geometrischen Mittelwerte: 2,13; 90 % KI: 159,0 bis 285,0 %)2. Nach 6 und 15 Minuten waren die Ergebnisse ähnlich. So betrug der Quotient der geometrischen Mittelwerte nach 6 Minuten 2,22 (90 % KI: 136,9 bis 361,3 %) und nach 15 Minuten 2,16 (90 % KI: 142,2 bis 327,8 %) – was auf eine schnellere Adrenalinabsorption durch den AAI-Einsatz hinweist. Ein Vergleich der Applikationswege zeigte auch innerhalb der einzelnen STMD-Kohorten nach 30 Minuten eine jeweils schnellere Adrenalinanflutung nach AAI-Anwendung2: Bei den Probanden mit niedriger STMD betrug der Quotient der geometrischen Mittelwerte 2,09; 90 % KI: 148,0–295,9 %, bei mittlerem STMD 2;64; 90 % KI: 98,7–273,4 % und bei hohem STMD 2,90; 90 % KI: 155,1–543,2 %.
AAI ist auch bei ausgeprägter subkutaner Fettschicht effektiv
Auch wenn der zugrundeliegende Mechanismus der systemischen Adrenalinexposition in dieser Studie nicht untersucht wurde, legen die Ergebnisse nahe, dass die subkutane Adrenalingabe für eine rasche systemische Bereitstellung offenbar ausreicht2. „Geklärt scheint, dass Adrenalin-Autoinjektoren auch für adipöse Patienten geeignet sind, um einer akuten Anaphylaxie effektiv entgegenzuwirken“, so Worm. Zudem sollten laut Worm weitere, randomisierte prospektive Studien durchgeführt werden, um diese Studienergebnisse zu bestätigen.
Zusätzliche Informationen für die Redaktion
Über Anaphylaxie
Die Anaphylaxie ist eine potentiell lebensbedrohliche systemische allergische Reaktion. Es handelt sich in der Regel um eine IgE-vermittelte Allergie vom Typ 1 (Soforttyp). Pathophysiologisch kommt es zu einer Freisetzung verschiedener Mediatoren aus Mastzellen und basophilen Granulozyten: u. a. Histamin, Prostaglandinen, Leukotrienen, Tryptase, Plättchen-aktivierendem Faktor, Zytokinen und Chemokinen. Die Auslöser für schwere allergische Reaktionen sind am häufigsten Nahrungsmittel (z. B. Erdnüsse, Baumnüsse, Milch, Eier, Schalentiere), Insektengifte (z. B. durch Bienen- oder Wespenstich) und Medikamente (z. B. Antibiotika oder Schmerzmittel). Die genaue Zahl der Anaphylaxien ist unbekannt. Schätzungen zufolge muss in Deutschland mit ein bis drei Ereignissen je 100.000 Einwohner pro Jahr gerechnet werden. Dabei ist von ein bis drei Todesfällen pro 1 Million Einwohner auszugehen. Patienten mit Nahrungsmittel-, Insektengift- und Medikamentenallergie sollten einen Allergologen aufsuchen, der mittels Anamnese, Prick-Test, IgE-Bestimmung im Blut sowie eventuell anhand von Provokationstests das Anaphylaxie-Risiko des Allergikers abschätzen kann und gegebenenfalls ein Notfallset verordnet. Präventiv kommen die Expositionsprophylaxe und in geeigneten Fällen– bei der Insektengiftallergie – die Hyposensibilisierung in Frage. Zur Therapie der allergischen Reaktion werden je nach Ausprägungsgrad orale Antihistaminika, Glukokortikoide, Beta-2-Sympathomimetika und für die Notfallbehandlung Adrenalin im Autoinjektor (Notfallset) eingesetzt.
Bildmaterial
Abbildung 1
Abb 1.: Adrenalinplasmakonzentrationen nach Verabreichung durch EpiPen Autoinjektor oder Spritze am mid-anterolateralen oder distal-anterolateralen Oberschenkel. Mittlere Adrenalinplasmakonzentration nach Verabreichung von Adrenalin durch EpiPen Autoinjektor am mid-anterolateralen Oberschenkel (n = 35) und Verabreichung von Adrenalin durch EpiPen Autoinjektor am distal-anterolateralen Oberschenkel (n = 23). Die Fehlerbalken zeigen die Standardabweichungen (Quelle nach Worm et al. 2020).
Abbildung 2
Abb 2.: Adrenalinplasmakonzentrationen unterschieden nach Injektionsart und Stelle des niedrigen, mittleren und hohen Haut-Muskel-Abstands. Mittlere Adrenalinplasmakonzentration bei Teilnehmern mit (a) niedrigem (< 15 mm), (b) mittlerem (15–20 mm) und (c) hohem (> 20 mm) Haut-Muskel-Abstands nach verschiedenen Verabreichungsmethoden von Adrenalin. Die Gruppe mit niedrigem Haut-Muskel-Abstand hat aus Sicherheitsgründen keine Adrenalinverabreichung durch EpiPen Autoinjektor am distal-anterolateralen Oberschenkel erhalten. Fehlerbalken zeigen die Standardabweichungen (Quelle nach Worm et al. 2020).
Über Viatris
Viatris Inc. (NASDAQ: VTRS) ist ein neues Gesundheitsunternehmen, das Menschen weltweit befähigt, in jeder Lebensphase gesünder zu leben. Durch unser einzigartiges Global Healthcare Gateway® bieten wir Zugang zu Arzneimitteln und Impfstoffen sowie auch neu entwickelten Biosimilars, fördern wir eine nachhaltige Unternehmensführung, entwickeln innovative Lösungen und nutzen unsere Kompetenz, um mehr Menschen den Zugang zu mehr Produkten und Dienstleistungen zu ermöglichen.
Viatris, das im November 2020 entstand, vereint seitdem erstklassige Expertise in den Bereichen Wissenschaft, Produktion und Vertrieb mit bewährten regulatorischen, medizinischen und kommerziellen Fähigkeiten, um Patienten hochwertige Medikamente in mehr als 165 Ländern und Territorien zu liefern. Das weltweite Portfolio von Viatris umfasst mehr als 1.400 Moleküle für ein breites Spektrum von Therapiegebieten, die sowohl nicht übertragbare als auch Infektionskrankheiten abdecken, sowie erstklassige, bekannte Markenprodukte und globale Schlüsselmarken, Generika – inklusive Marken- und komplexe Generika – Biosimilars und eine Vielzahl von Präparaten zur Selbstmedikation/OTC-Produkten. Mit weltweit ca. 45.000 Mitarbeitern haben wir unseren Hauptsitz in den USA und globale Zentralen in Pittsburgh (USA), Shanghai (China) und Hyderabad (Indien). Weitere Informationen finden Sie auf https://www.viatris.com/en und https://investor.viatris.com. Bleiben Sie auch über Twitter @ViatrisInc, LinkedIn und YouTube mit uns in Verbindung.
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1 EMA, Better
training tools to support patients using adrenaline auto-injectors.
EMA/465403/2015. 2015 Aug 14.
2
Worm M et al. Clin Transl Allergy (2020) 10:21.
3
Ring J, Beyer K, Biedermann T, Bircher A et al.,
Guideline (S2k) on acute therapy and management
of
anaphylaxis: 2021 update. Allergo J Int. 2021 Jan 28:1-25. doi:
10.1007/s40629-020-00158-y. PMID: 33527068.
4 Campbell RL, Li JTC, Nicklas RA, Sadosty AT. Ann Allergy Asthma
Immunol. 2014;113(6):599–608.
5 Simons FER et al. World Allergy Organ J. 2011;4(2):13–37.
6
Muraro A et al. for the EAACI Food Allergy and
Anaphylaxis Guidelines Group. Allergy. 2014;69(8):1026–45.
7
Posner LS, Camargo CA Jr. 2017. Drug Healthc Patient
Saf. 2017;9:9–18.
8 Tsai G, Kim L,
Nevis IFP, Dominic A, Potts R, Chiu J, et al.
Allergy Asthma Clin Immunol. 2014;10(1):39.
9 Song TT. J Allergy Clin Immunol Pract. 2018;6(4):1264–1265.
10 Fastjekt®
/ FASTJEKT® Junior Fachinformation Stand Dezember 2019. [https://www.fachinfo.de/pdf/013101 / https://www.fachinfo.de/pdf/013100]